Kolpingsfamilie Elzach | Michael & Markus Hartmann
Im Archiv der Kolpingsfamilie Elzach sind wir auf eine Mappe gestoßen. Sie war schon
etwas verstaubt und beschriftet mit:
„Briefe der Kolpingssöhne aus dem Feld – von November 1939“
In der Mappe befinden sich unzählige Briefe von Mitgliedern der Kolpingsfamilie, die Post
in ihre Heimat geschickt haben.
Auszugsweise ein Brief datiert mit dem 25. Februar 1940 aus Böhmen-Mähren, das
damals die nationalsozialistische Bezeichnung für eine Verwaltungseinheit des
Großdeutschen Reiches in der Tschechoslowakei war:
Feldpost an Hr. Vikar Otto Biesing
„Lieber Präses, liebe Kolpingsbrüder!
Euer Päckchen hat mich sehr gefreut, vielen Dank hierfür. Wenn man so weit von
der Heimat weg ist, freut einen jedes Zeichen, damit vergißt man seine tägl. Sorgen
wieder. So Gott will, werden wir uns alle wieder in der Heimat treffen. Es geht ja
alles vorrüber, somit sind es schon 6 Wochen, dass wir zu Hause weg sind. Die
Kälte hat uns nichts ausgemacht (…).
Hoffentlich können wir bald hier weg in unser liebes Badnerland. Die Leute hier
schauen uns alle an, wie ein Teufel, sogar die Pferde auf der Straße schnappen
nach uns. Somit kann man sich mit niemanden unterhalten wenn man ausgeht.
Letzte Woche sind schon verschiedene von unseren Männern ab zur Front. Wir
wollen auf unseren Vater Kolping vertrauen, er wird alles leiten. Ich wünsche Ihnen,
sowie Hrn. Stadtpfarrer (...) und allen Kolpingsbrüdern alles Gute.“
Am 22. August 1940, also ungefähr ein halbes Jahr später, so ist der Chronik zu
entnehmen, erschien die Geheime Staatspolizei im Pfarrhaus in Elzach, löste die
Kolpingsfamilie auf und beschlagnahmte sämtliches Vereinseigentum. Der Präses, Vikar
Biesing, an den dieser sowie viele weitere Briefe adressiert waren, kam in Schutzhaft.
Der Verfasser des Briefes stirbt ungefähr zwei Jahre später im Krieg. Seine Heimat und
seine Familie hat er nicht mehr wiedergesehen.
Der Krieg sollte noch fünf weitere lange Jahre andauern.
Seither sind 80 Jahre vergangen. Und wieder ist Krieg in Europa. Wieder müssen junge
Menschen weg aus ihrer Heimat. Gewinner gibt es keine. Nur Leid, Verletzte, Tote,
Hinterbliebene.
Wir sind in einem friedlichen, kriegsfreien Deutschland aufgewachsen. Wir hatten eine
glückliche Kindheit und eine glückliche Jugend. Wir konnten unsere Ausbildung, unser
Studium, unseren Beruf frei wählen.
Wir mussten Krieg nie am eigenen Leib erfahren. Wir kennen Krieg nur aus den
Geschichtsbüchern, den Nachrichten, Dokumentarfilmen und von Erzählungen älterer
Menschen.
Umso wichtiger, dass daran erinnert wird, was Krieg bedeutet. „Erinnern heißt lernen für
die Zukunft.
Bild 1
Wir durften Fahrradfahren lernen mit der einzigen Angst hinzufallen und uns wehzutun.
Beim Spielen mussten wir nie Angst haben vor Gewalt oder Zerstörung.
Unter den Wolken des Krieges übt die fünfjährige Alina begleitet von Freundinnen
das Fahrradfahren auf einer Wiese im Nordwesten der Ukraine. In der Nacht zuvor
hat eine russische Drohne hier ein Öllager in Brand gesetzt
ERINNERN HEIßT LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT
Bild 2
Wir durften unbeschwert die Schule besuchen und uns danach mit Freunden treffen.
Manchmal haben wir uns über den öden Schulalltag beschwert. Wir lernten Mathe, Musik,
Biologie und Sport.
Zu Beginn des zweiten Weltkriegs üben Schüler den Umgang mit der
„Volksgasmaske“ Die Bevölkerung richtet Luftschutz-Keller ein. Es gibt landesweite
Luftschutzübungen
ERINNERN HEIßT LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT
Bild 3
Wir sind behütet aufgewachsen. Wir können reisen und wieder heimkehren. Wir fühlen
uns wohl in unserer Heimat und können frei entscheiden wo und wie wir leben möchten.
Tausende Syrer haben auf der Flucht vor dem IS an einem Grenzübergang zur
Türkei versucht, den Grenzzaun zu überwinden. Sicherheitsbeamte trieben sie mit
Wasserwerfern und Warnschüssen zurück.
ERINNERN HEIßT LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT
Bild 4
Wir feiern Feste, machen Fasnet, gehen spazieren, bummeln durch die Innenstadt. Im
Sommer gehen wir ins Schwimmbad. Wir müssen keinen Hunger leiden. Wir müssen uns
keine Sorgen machen, dass wir kein sauberes Trinkwasser haben.
Der Krieg im Gazastreifen hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Ganze Städte sind
ausgelöscht, dem Erdboden gleichgemacht. Lebensraum und Infrastruktur ist
zerstört. Familien sind auseinandergerissen. An einen normalen, unbeschwerten
Alltag ist nicht zu denken. Es herrscht Chaos
ERINNERN HEIßT LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT
Bild 5
Der Umgang mit dem Tod ist auch bei uns schmerzlich. In der Regel kommen wir mit dem
Tod oder mit schweren Verletzungen dann in Berührung, wenn uns nahestehende
Personen betroffen sind. Sterbefälle ergeben sich hierzulande aus Altersgründen,
aufgrund Krankheit oder aufgrund tragischer Unfälle.
Minen sorgen im Kongo weiterhin für Tote und Verstümmelte. Die Minen können
erst geräumt werden, wenn die Waffen in den betreffenden Gebieten schweigen.
Während des zweiten Weltkriegs kamen schätzungsweise 75 Millionen Menschen
ums Leben.
ERINNERN HEIßT LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT
Es sind schreckliche Bilder, die wir soeben gesehen haben, die uns aber auch tagtäglich
aus Kriegsgebieten der ganzen Welt erreichen.
Aber was hat das mit uns zu tun? Was können wir schon ausrichten?
Wir erleben in Deutschland aktuell eine Zunahme von extremistischen,
demokratiefeindlichen Aktivitäten. Hass und Hetze einhergehend mit Beleidigungen,
Sexismus, Rassismus und Antisemitismus egal ob analog oder digital sind mittlerweile
Alltag. Das ist besorgniserregend.
Bundespräsident Frank Walter Steimeier sagte „Eine Demokratie muss wehrhaft sein
gegenüber ihren Feinden. Niemals wieder sollen demokratische Freiheitsrechte
missbraucht werden, um Freiheit und Demokratie abzuschaffen“
ERINNERN HEIßT LERNEN FÜR DIE ZUKUNFT
Erinnern heißt auch, die Erfahrungen aus menschenverachtenden Ideologien und
Herrschaftssystemen zu nutzen und gegen Abwertung, Menschenfeindlichkeit und
Ideologien der Ungleichwertigkeit vorzugehen.
Bei uns sind die Werte einer offenen, liberalen und vielfältigen Gesellschaft in unserer
freiheitlich demokratischen Grundordnung verankert. Darauf können wir stolz sein. Es ist
unsere Pflicht dafür einzutreten.
Wir können klar Position beziehen, wenn gehetzt und verallgemeinert wird Wir können extremistischen Strömungen entgegentreten Wir können die Stimme erheben, wenn ausgegrenzt und beleidigt wird Wir können mit unserer demokratischen Stimme dafür sorgen, dass gesichert
rechtsextreme Parteien keine Chance haben
Wir können in unserem ganz persönlichen Umfeld für Friede und Freiheit eintreten.
Das können wir ausrichten.
Diese Botschaft tragen auch die Sternsinger jedes Jahr im Januar in die Häuser, wenn es
heißt:
„Wir wollen keine Welt in Scherben, wir wollen für den Frieden werben.
Friede beginnt bei dir und mir, beginnt an jeder Wohnungstür“
Heinz Rudolf Kunze, ein deutscher Sänger und Schriftsteller singt in seinem Lied „Die Zeit
ist reif“ folgende Zeilen:
„Die Zeit ist reif für ein riesiges Erwachen. Und ein Silberstreif soll den
Menschen Hoffnung machen.
Lasst euch nie mehr mit Gespenstern ein. Es darf nie mehr so wie früher
sein.
Stellt Euch nie mehr stumm, taub, blind und klein. Nur so weiter geht es nicht. Das ist Menschenrecht und -pflicht. Eure Kinder schauen euch fragend an. Zwingt Euch, dass zusammen passt,
was ihr Ihnen hinterlasst. Eine Welt in der man leben kann – es darf nie
mehr so wie früher sein.“
Wir gedenken und erinnern heute den Opfern von Gewalt und Krieg.
Erinnern heißt lernen für die Zukunft.